Worin liegt die größte Leistung des Berufsbeamtentums?
"Just now", mokiert sich 1867 Walter Bagehot über eine merkwürdige Schwäche seiner Landsleute, "the triumph of the Prussians - the bureaucratic people, as is believed, par excellence - has excited a kind of admiration for bureaucray, which a few years since we should have thought impossible." Tatsächlich war mehr am Werk als ein kindischer, aus dem Augenblick heraus geborener Nachahmungstrieb, wenigstens bei denen, die mit dem Verwaltungsdilettantismus ihrer Zeit in Berührung gekommen sind. Negative Erfahrungen, darunter auch koloniale, gab es genügend; sie haben der Einsicht den Weg geebnet, dass ein ambitioniertes Regieren ohne funktionierende Verwaltung ausgeschlossen ist. Wenn Untergebene alleine deshalb angestellt werden, weil sie die Schule ihrer Vorgesetzten besucht haben (Eaton), und diese sich hauptsächlich durch Schirm, Charme und Melone auszeichnen, dann verlaufen Absichten im Sande, bleiben Probleme liegen und werden Chancen verspielt. Daher würde, so die informierte Meinung damals, am professionellen Beamten nach preußischem Muster kein Weg vorbeiführen. Freilich dachte niemand daran, das Original umstandslos zu kopieren. Während Preußen-Deutschland seinen Staatsapparat mit Juristen bestückt hat, war den Engländern daran gelegen, für ihre Verwaltung Talente ("a career open to talents") zu gewinnen, am besten geformt durch Latein-Lektionen, Griechisch-Kurse und Rechen-Künste. Diese kulturelle Differenz sollte auch alle späteren Modernisierungsschübe überleben, was eine funktionale Äquivalenz der verbeamteten Kompetenzen nahelegt. In der Tat, beide Bildungswege betonen das "grammatikalische" Moment (Logik, Systematik), fördern also formalisierte Entscheidungsprozesse.Die Leute draußen im Lande nehmen den Effekt als Komplikation wahr. Sie ärgern sich über endlose Fristen, komplizierte Formulare oder pedantische Fragen und übersehen dabei leicht den heilsamen Effekt einer prozedural entschleunigten Machtentfaltung. Derzeit kann man lernen, wohin ihre Drängelei führen würde: zur "Twitter-Politik" (un-)gnädiger Herren.
Was ist ein dringendes Problem des Beamtentums?
Nach den Umwälzungen von 1918 hat Otto Mayer, ein Vorreiter des deutschen Verwaltungsrechts, seine unerschütterte Zuversicht auf den bündigen Nenner gebracht: "Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht". D.h., es muss verwaltet werden, vor und nach dem Umsturz, vielleicht sogar dieser selbst und immer so, dass man Verfahren durch Paragraphen fixiert, deren Bewirtschaftung eine Angelegenheit für Rechtskundige ist. Diese Überzeugung hatte dem "Juristenprivileg" den Weg geebnet - das sich bis heute hält, wenngleich ihm sachliche und soziale Probleme seit jeher zu schaffen machen. Je stärker solche Komplikationen seinen Verwaltungsalltag prägen, desto weniger bleibt der Juristenstand Herr im eigenen Hause. Immer häufiger muss er den Sachverstand außerhalb des Büros suchen, nicht zuletzt bei "systemrelevanten" Akteuren, die eigentlich zu beaufsichtigen wären. Dann kann es dahin kommen, dass Banken für Behörden ein "bankenfreundliches" Votum entwerfen; oder Produzenten "ihrem" Referat vorgeben, wie weit der Umweltschutz gehen darf. Mit seiner wachsenden Fremdbestimmtheit hat sich der Beamtenapparat inzwischen arrangiert, überraschend elastisch für dieses vermeintlich "eherne Gehäuse" (Max Weber) und seine angeblich halsstarrigen Bewohner. Keine Aussicht auf fremde Hilfe besteht freilich in dem Fall, der seit neuestem zahllose Verwalter heimsucht: die massenhafte Präsenz flüchtiger Personen ohne Normalbiographie und Behördenidentität. Verglichen mit den "Mustermännern" sind sie weitgehend verwaltungsfremd. Sprache, Herkunft, Motive, Ziele, Absichten, Bedürfnisse, Tätigkeit, kurzum alles, was für gewöhnlich entweder amtsbekannt ist oder vorausgesetzt werden darf, verknüpft sich jetzt zu menschlichen Rätseln. Die fällige Neuprogrammierung des affizierten Apparats des öffentlichen Dienstes reicht tief in den bürokratischen Raum hinein. Wer es besonders genau wissen will, weil er nach "gefährdenden" Identitäten Ausschau hält, hat schon heute seine liebe Not mit der neuen Komplexität. Zivil(er)en Dienststellen mag eher nachgesehen werden, dass sie, vor den Komplikationen kapitulierend, Fünfe auch mal gerade sein lassen. Doch weil sich gute und schlechte Risiken weder säuberlich voneinander trennen noch umstandslos gegeneinander isolieren lassen, stehen auch sie unter dauernder Beobachtung. So taucht am Horizont ein neues Phänomen auf: bürokratischer Stress.
Wie beurteilen Sie die Bedeutung der Beamten heute?
Es sei, erfahren wir, "höchste Zeit, Wilhelm von Humboldt zu lesen" (FAZ). Angemahnt wird die Lektüre seiner Staatskritik - sie begründet eine Tradition, die zunächst den bürokratischen Apparat und dann auch das bürokratische Personal zum Teufel wünscht. Diese Botschaft kommt heute so gut an, dass man sich fragen muss, warum sie nicht schon damals gezündet hat. Warum also? Ihr ideologischer Kontext ist ein Liberalismus vom Lande, der einfach hinnimmt oder beharrlich ausblendet, was außerhalb seiner Wohlfühlzone passiert. Humboldt macht es vor. Auf dem Landsitz des Schwiegervaters findet er, gerade mal Mitte zwanzig, Grund und Muße, um gegen die schleichende und seiner wohlbehüteten Meinung nach verheerende Bürokratisierung des preußischen Alltags anzuschreiben. Was derweil in den industriellen Regionen passiert, entgeht seiner Aufmerksamkeit völlig (Adam Smith hätte ihm auf die Sprünge helfen können). Humboldts geistige Erben sehen später mit eigenen Augen, wieviel Elend dem schnellen Fortschritt folgt - und erweitern, damit ja kein öffentliches Mitleid aufkomme, umgehend ihr Feindbild. Jetzt gerät auch das Personal unter Beschuss, der Beamtenstand. Sein besonderer "Ethos", heißt es nun, mache, statt Abhilfe zu schaffen, alles nur noch schlimmer: "Weil der öffentliche Dienst dem keimtötenden Mittel des freien Marktes nicht ausgesetzt ist und sich, anders als das private Unternehmertum, auch ganz ohne robuste Vitalität behaupten kann, fallen seine Angehörigen unweigerlich in einen trägen, übersättigten Zustand" (Herbert Spencer). Parasitentum mit Pensionsanspruch. Der eigentliche Skandal liegt aber darin: Das gemeine Volk nimmt den Apparat als Anzeichen dafür, dass ihm geholfen werden solle. Es leiht sein Ohr und gibt seine Stimme denen, die ihm (noch) mehr davon versprechen. Gegen so viel Borniertheit hilft nur eine Rosskur. Es schlägt Margaret Thatchers Stunde. Selbst bekennende Landfrau, schafft sie das, was ihr gründlich missfällt, kurzerhand aus der Welt: "There is no such thing as society". Ohne (leidende) Gesellschaft kein (helfender) Staat. Hätte diese Parole gezündet und weitere Kreise gezogen, wäre der Beamtenstand arg ins Gedränge gekommen. So aber tut er weiterhin Dienst nach Vorschrift, maßvoll modernisiert, mäßig geschrumpft.
Wolfgang Fach ist Professor für Politikwissenschaft in Leipzig.
Die Fragen stellten Petra Gehring und Michael Matthiesen, Herausgeber der Ausgabe
"betrifft: Beamte" der Zeitschrift für Ideengeschichte.
Inhaltsverzeichnis der Ausgabe hier