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Auf den materiellen und digitalen Spuren der Weltliteratur unterwegs

Dass ich im erneuten Lockdown und launischen April meine Forschungshospitanz bei der Klassik Stiftung Weimar beginnen würde, hatte ich nicht erwartet, doch das herzliche Willkommen der aktiven Gemeinschaft von Fellows und Mitarbeiter*innen im Stabsreferat Forschung lies die schlimmsten Befürchtungen schnell verfliegen. Der weitschweifende Blick über Weimar aus meinem Zimmer im Nietzsche-Archiv spiegelte sich im breitgefächerten Wissensangebot der Klassik Stiftung wider. Das Forschungskolloquium und die Präsentationen der Fellows waren wie rettende Inseln für eine Schiffbrüchige auf dem stürmischen und vereinsamenden Meer der Corona-bedingten Einschränkungen im Austausch von Forschung und Ideen.

Blick auf den Eingang des Nietzsche-Archivs, Foto: Isabelle Riepe

Ursprünglich hatte ich mich über den Careers Service der University of Oxford für eine Forschungshospitanz beim Forschungsverbund Marbach Weimar Wolfenbüttel (MWW) beworben. Corona-bedingt wurde sie von Sommer 2020 auf Frühjahr 2021 verschoben. Ich graduierte letzten August und begann mein Doktorandenstudium zur Materialität der Weltliteratur am European University Institute in Florenz. Weimar, die Klassik Stiftung und der MWW formen nun das Herzstück meiner Forschung über die nächsten Jahre.

Digitale Spuren zur Weltliteratur

Startseite des Labors ›Goethe Digital‹ im Virtuellen Forschungsraum (VFR)

Das MWW Projekt ›Goethe Digital‹ lernte ich auf dem Workshop ›Literature in the World: Material Networks of Books to and from Goethe’s Weimar‹ in Oxford kennen, wo Stefan Höppner über die Buchzusendungen an Johann Wolfgang Goethe sprach und anhand von Visualisierungen die europaweite Verteilung der Zusendenden aufzeigte. Dieses Netzwerk, dass nicht nur ein kommunikatives sondern durch die Bücher vor allem ein materielles ist, inspirierte mich, die materiellen Bedingungen, in denen der Begriff »Weltliteratur« geboren wurde, historisch und literarisch genauer zu untersuchen.

Als Hospitantin bei Stefan Höppner und Ulrike Trenkmann durfte ich im April 2021 hinter die Kulissen schauen. Ich lernte die Schwierigkeiten kennen, eine Autorenbibliothek so zu katalogisieren, dass Funde innerhalb der Bücher – wie zum Beispiel Exlibris, Angestrichenes oder Zeichnungen (sogenannte Marginalien) – auch im Katalogeintrag nachvollzogen werden können. Zudem habe ich anhand der bereits vorhandenen Ausstellungen des MWW in der Deutschen Digitalen Bibliothek mehr über die Formate und Konzipierung von virtuellen Ausstellungen erfahren und meinen eigenen kleinen Beitrag zu einer zukünftigen Ausstellung erarbeitet.

Materielle Spuren zur Weltliteratur

Die andere Hälfte meines vierwöchigen Aufenthalts in Weimar widmete ich, wie im Programm der MWW-Forschungshospitanz vorgesehen, meiner eigenen Forschung. Momentan untersuche ich die Formation des Weltliteratur-Begriffs bei Wieland und Goethe anhand von Weltvorstellungen der Antike und der Weimarer Klassik. Die Briefe des Horaz und Tragödien des Euripides eröffnen erste textuelle Ansätze innerhalb der Weltliteratur-Forschung. Ich werde sie durch bibliographische Studien von Büchern und durch Tagebücher und Korrespondenzen ausbauen.

Zum Beispiel: Hermann Friedrich Wilhelm Hinrichs Das Wesen der antiken Tragödie in ästhetischen Vorlesungen (Halle: Ruff, 1827) erreichte Goethe im März 1827. Wie im Katalog (und im Digitalisat der HAAB) vermerkt ist, hielt Goethe in seinem Tagebuch fest, dass er die Zusendung zeitnah las. Die Bleistift-Anstriche innerhalb des Buches könnten somit sehr wahrscheinlich von Goethe stammen. Die hier abgebildete Stelle ist interessant für mich, da sie unterschiedliche Welt- und Wertvorstellung (alte Griechen und Christentum) als Kriterien verwendet, um den Charakter des griechischen Philosophen Sokrates als tragisch oder komisch darzustellen. Dem Bleistiftstrich nach zu urteilen, schien dies auch für Goethe von Interesse zu sein.

Auszug aus Das Wesen der antiken Tragödie in ästhetischen Vorlesungen. © Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Klassik Stiftung Weimar, Signatur: Ruppert 691, S. xxxii.

Die Hilfsbereitschaft, Neugierde und Hingabe mit denen Forschung ergriffen wird und Forschende willkommen geheißen werden, haben meinen Aufenthalt in Weimar zu einem sehr besonderen und produktiven gemacht. Vielen Dank dafür.


Isabelle Riepe ist Dokorandin am European University Institute in Florenz und war vom 06.04.2021 bis 06.05.2021 als Forschungshospitantin an der Klassik Stiftung Weimar. Sie twittert unter @isabelleriepe.      

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