2022 hat die Herzog August Bibliothek ihr 450-jähriges Jubiläum und dabei auch ihren einzigartigen Bestand mit wertvollen Büchern und Handschriften gefeiert – Bücher, die zuweilen doppelt so alt sind, wie die Bibliothek selbst. Im Gegensatz dazu sind digitale Publikationen vergleichsweise jung. Obwohl es in den letzten Jahren starke Verbesserungen gegeben hat, besteht immer noch eine nicht zu unterschätzende Unsicherheit darüber, ob die derzeit online publizierten Texte in 10 oder 25 Jahren noch auffindbar und verfügbar sein werden.
Eine der Aufgaben der 2. Förderphase von MWW besteht darin, eine Publikationsumgebung aufzubauen, um den Forschungsverbund und die beteiligten Institutionen in die Lage zu versetzen, Monographien, Sammelbände oder Kataloge und darüber hinaus auch Forschungsdaten eigenständig veröffentlichen zu können. Schließlich soll das neue Angebot mit den bestehenden Publikationsangeboten, wie der Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften (ZfdG), und den institutionellen Repositorien verknüpft werden.
Egal ob Repositorien, Open Access-Zeitschriften oder -Verlage – der Aufbau einer digitalen Publikationsstruktur ist mit zahlreichen Herausforderungen und Fragen konfrontiert: Wie soll der Workflow gestaltet werden? Welche Softwareumgebung und welche Tools werden benötigt? Wie kann die Infrastruktur nach dem in der Regel projektmäßig geförderten Aufbau weiter betrieben, gepflegt und erneuert werden? Wie lässt sich die langfristige Verfügbarkeit der Publikationen und Forschungsdaten sicherstellen? Wie kann man die neue Publikationsplattform in der Community bekannt machen? Wie bekommt man Reputation für das neue Angebot und damit Leser:innen und Zitationen für die Publikationen?
Die langfristige Verfügbarkeit ist ein wichtiger, wenn auch nicht der einzige Grund, warum viele Geisteswissenschaftler:innen nach wie vor gedruckte Bücher einer online only Publikation vorziehen. Das Publikationssystem dient nicht nur der Bekanntmachung von wissenschaftlichen Ergebnissen. Die Frage, wer wo veröffentlicht, hat sehr direkte Auswirkungen darauf, wer welche Stelle bekommt, letztlich wie Karrieren verlaufen. Wissenschaftliche Disziplinen haben im Laufe der Zeit unterschiedliche Publikationskulturen ausgebildet und das nicht erst seit dem digitalen Wandel. Die Entwicklung dieser unterschiedlichen Publikationskulturen zu beobachten, heißt immer auch, Entwicklungen des Wissenschaftssystem wahrzunehmen.[1] Dies beschränkt sich keinesfalls nur auf eine Aufteilung in Natur- und Geisteswissenschaften und Zeitschriftenaufsätze vs. Monographien, sondern ist weitaus vielschichtiger, wie das Beispiel der Soziologie zeigt, bei der sich die quantitativ arbeitende Soziologie eher der naturwissenschaftlichen und die qualitativ arbeitende Soziologie eher der geisteswissenschaftlichen monographischen Publikationskultur ähnelt.[2] Ähnliches ließe sich sicherlich auch für die unterschiedlichen Publikationskulturen der Digital Humanities im Vergleich zu den klassischen Humanities herausarbeiten. Für alle gilt das unumgängliche Diktum von publish or perish, das zwar in etwas überspitzter, aber doch treffender Weise das Ziel von Wissenschaft wiedergibt: Veröffentlichungen. Unpubliziertes mag zwar richtig sein, steht dem wissenschaftlichen Diskurs aber nicht zur Verfügung, kann weder überprüft und bestätigt, noch widerlegt werden.[3]
Fördergeber sind in den letzten Jahren dazu übergegangen, Open Access-Publikationen stärker zu fördern und auch einzufordern. Zugleich nimmt die Bedeutung der Veröffentlichung von Forschungsdaten zu. Die großangelegte und disziplinübergreifende Förderung der NFDI-Initiativen sind ein Ausweis dieser Bedeutung. Beide Entwicklungen benötigen entsprechende Beachtung beim Aufbau einer digitalen Publikationsumgebung für MWW.
Aus den oben genannten Erwägungen und um verschiedene Funktionen erfüllen zu können, ist die MWW-Publikationsumgebung aus zwei miteinander verbundenen Elementen konzipiert: Einmal mit einer Umgebung, in der monographische Werke im Open Access publiziert, bequem und responsive online gelesen und kommentiert werden können. Diese Plattform bietet zudem Möglichkeiten, die über Printpublikationen hinausgehen, z.B. das Einbinden von multimedialen Inhalten oder auch interaktiven Elementen, das Erstellen von living books, das Ergänzen, Anhängen von und Verknüpfen mit weiteren Inhalten und Funktionalitäten, die über die der PDFs weit hinausgehen. Dieser Teil der Publikationsumgebung wird über die Open Source Software Manifold Scholarship realisiert.
Manifold Scholarship ist 2012 als kollaboratives Projekt entstanden, um eine interaktive Webedition des Bandes ›Debates in the Digital Humanities‹ zu produzieren. Beteiligt waren das CUNY Graduate Center Digital Scholarship Lab, der University of Minnesota Press und die Programmierfirma Cast Iron Coding. Ab 2015 wurde das Projekt Manifold Scholarship von der Andrew Mellon Foundation unterstützt. 2022 wurde Version 7 herausgebracht, mit dem nun u.a. auch die Produktion von Zeitschriften unterstützt wird.
Als zweites Element der Publikationsumgebung wird ein MWW-Repositorium aufgesetzt. Das Repositorium wird mit der Software DSpace realisiert und dient primär dazu, die Auffindbarkeit von Publikationen und Forschungsdaten zu gewährleisten. Als Repositorium des Forschungsverbundes bietet es zudem die Möglichkeit, die jeweiligen institutionellen Repositorien und deren Inhalte auf einer Oberfläche sicht- und durchsuchbar zu machen.
Ganz im Sinne des Verbundgedankens von MWW werden hierdurch potenziell große und kulturell wie wissenschaftlich wertvolle Bestände der drei Institutionen stärker sichtbar, ohne dass dafür ein großer Aufwand nötig wäre. Das MWW-Repositorium wird über entsprechende Schnittstellen mit den jeweiligen Repositorien der Institutionen verbunden. Es enthält keine eigenen Bestände, sondern verweist jeweils auf die Bestände aus Marbach, Weimar und Wolfenbüttel.
In Zusammenarbeit mit dem Wallstein Verlag werden die Bände der MWW-Forschungsgruppen ›Provenienz‹, ›Ökonomie‹ und ›Raum‹ sowie die der Mid- und Endterm-Tagung in der Reihe ›Kulturen des Sammelns‹ sowohl in Print als auch digital veröffentlicht. Weitere Publikationen aus MWW-Tagungen sind in Planung. Die bereits etablierte Reihe ›Kulturen des Sammelns‹ wird damit komplett Open Access gestellt, was ihre Reichweite erhöhen und auch den bereits veröffentlichten Bänden zugutekommen wird.
Die Herausforderung der kommenden Monate besteht darin, die Manifold Library mit Publikationen zu füllen und damit die Konzeption innerhalb eines begrenzten Zeitraums umzusetzen und zugleich die notwendig werdenden Anpassungen des Workflows einzubauen, Verknüpfungen zu erstellen sowie die Publikationsumgebung auf verschiedenen Kanälen in der Community bekannt zu machen. Außerdem müssen die Weichen für eine nachhaltige Lösung gestellt werden oder – um im Bild der Infrastruktur zu bleiben – die Schienen für die nachhaltige Betreuung gelegt werden.
Dr. Torsten Kahlert ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im MWW-Projekt ›Platform for Open Access Publication‹ an der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel.