Als Student der vergleichenden Philologie bin ich oft mit Texten aus den alten indoeuropäischen Sprachen beschäftigt, z.B. Latein, Griechisch und Sanskrit. Außerdem interessiere ich mich auch dafür, an den originalen Materialien, mit denen diese Texte überliefert wurden, wie Papyri, Handschriften und alte Drucke, zu arbeiten. Aus diesem Grund dachte ich, als ich über den Oxford Career Service vom MWW-Forschungshospitanzen-Programm an der Herzog August Bibliothek erfahren hatte, dass dieses vierwöchige Praktikum eine sehr gute Gelegenheit bieten würde, mein Interesse daran weiter zu entwickeln und Erfahrungen in Handschriftenforschung sowie Bibliotheksarbeit hinzuzugewinnen.
Glücklicherweise war meine Bewerbung an der Bibliothek erfolgreich und ich wurde der Abteilung "Handschriften und Sondersammlungen" zugeteilt. Nach einem freundlichen Empfang und einer sehr hilfreichen Einführung von Frau Melzian über die Bibliothek und die Kollegen fing ich am 25. Juli mit meinem Betreuer Dr. Heitzmann mit der Arbeit an. Das Projekt, an dem ich vor allem mitgearbeitet habe, war die Katalogisierung der mittelalterlichen Helmstedter Handschriften. Insbesondere arbeitete ich an der Handschrift Cod. Guelf. 372 Helmst., und zwar an der Transkription und der Beschreibung eines Abschnitts daraus. Diese lateinische Handschrift, die Anfang des 15. Jahrhunderts entstand, enthält Werke mehrerer Autoren einschließlich Heinrich von Hervord. Dessen Chronicon, und davon die ersten 11 Kapitel, mit denen ich beschäftigt war, sind nur in dieser Handschrift vollständig überliefert.
Um ehrlich zu sein, muss ich sagen, dass es für mich am Anfang eine sehr anspruchsvolle Aufgabe war, eine solche mittelalterliche Schriftart zu erkennen und zu transkribieren, teilweise, weil der Schreiber dieser Handschrift, zusätzlich zu seiner nicht so sorgfältigen Schrift, sehr viele Abkürzungenverwendet hatte, teilweise auch deswegen, weil ich zuvor wenig Erfahrung in Kodikologie hatte. Deshalb bin ich Dr. Lesser und Dr. Heitzmann sehr dankbar, die mir viele nützliche Nachschlagewerke zu mittelalterlichen Schriften empfahlen und mir die wichtigsten Abkürzungen geduldig beibrachten. Manchmal schauten sie auch mit mir gemeinsam schwierige Stellen in der Transkription an. Daneben habe ich von Dr. Heitzmann auch viel über mittelalterliche Literaturgeschichte, besonders das bibliographische Hintergrundwissen dazu gelernt, z. B. auf welches Literaturverzeichnis man sich beziehen soll, wenn man die Texte eines bestimmten Autors suchen will. Mit dieser Hilfe machte ich mich schnell mit dem besonderen Stil der Schrift und der Struktur des Texts dieses Schreibers vertraut und endlich könnte ich eine vorläufige "diplomatische" Ausgabe von 14ra-16ra dieser Handschrift erstellen.
Zusätzlich zur Bearbeitung dieser Helmstedter Handschrift habe ich zwei Fragmente aus dem 10. und 11. Jahrhundert erforscht, zwei biblische Kommentare von Isidorus Hispalensis und Hieronymus Stridonensis, und sie nach den Richtlinien der DFG beschrieben. In diesem Fall war die elektronische Datenbank der Patrologia Latina sehr hilfreich, die es mir ermöglichte, den originalen Text und Autor des Fragments zu bestimmen, obwohl auf dem Pergament nur wenige fragmentarische Sätze lesbar waren. Ich denke, dass diese Arbeit der Handschriftenbeschreibung eine sehr gute Übung für mich war, um das allgemeine Prinzip der Handschriftenkatalogisierung sowie das spezielle Beschreibungsformat der DFG hier in Deutschland kennenzulernen, da ich mich für eine Karriere als akademischer Bibliothekar in einer Bibliothek wie HAB interessiere.
Außer diesen philologischen Aufgaben war ich in der zweiten Hälfte des Praktikums auch mit etwas Technischem beschäftigt, nämlich der Konversion von Transkription und Beschreibung aus Word in die XML-Sprache, so dass sie auf die Website der Bibliothek sowie auf andere elektronische Geräte übertragen und in verschiedenen Formaten angezeigt werden können. Es war das erste Mal, dass ich an digitaler Textkodierung arbeitete und die Vorgaben von TEI-5 kennenlernte. Am Anfang war esetwas schwierig, die Textstrukturen von XML zu verstehen und vor allem die zahlreichen vordefinierten Elemente von TEI-5, die kodiert werden sollten, z. B. Personenname, Ortsname usw., zu lernen und an den richtigen Stellen des Textes zu verwenden. Dabei haben mir Herr Schassan in der Handschriftabteilung sowie das vom TEI-Konsortium erstellte Handbuch sehr geholfen, und ich freue mich darüber, dass durch meine Arbeit und die Verbesserungen von Herrn Schassan die Transkription und die zwei Beschreibungen vollständig in XML umgewandelt und nun auf der Website zugänglich gemacht wurden.
Aber die alltägliche Arbeit in der Bibliothek war keineswegs mein ganzes Leben in Wolfenbüttel. Es gibt in der niedersächsischen Kleinstadt viele interessante Sehenswürdigkeiten und Möglichkeiten für Begegnungen. Zum Beispiel hatten wir täglich um 13:30 Uhr die sogenannte "Kaffeerunde" von Stipendiaten, wo man erstklassige Forscher und Studierende aus verschiedenen Fächern aus der ganzen Welt kennenlernen und sich mit ihnen über jedes mögliche Thema austauschen kann. Ich besuchte auch gern die Veranstaltungen und Ausstellungen, die in der Bibliothek regelmäßig stattfanden und eine Vielfalt von Themen behandelten, von der Metamorphose eines Schmetterlings bis zur ältesten Handschrift Ovids.
Chengzhi Zhang kommt aus China und arbeitet über "Tense uses and the augment in Pindar".