Frankfurt am Main, Februar 1932. Professor Tillich lädt zur Kostümparty, und alle schmeißen sich in Fummel. Adorno kommt als Napoleon, Dolf Sternberger mit Toga und Lorbeerkranz, Kurt Riezler im Braunhemd der SA. Noch ist alles Unschuld und ein großes Spiel. Auch die Begriffe kostümieren sich, nehmen eine andere Farbe an, entfremdeten sich von der Semantik des Seminars. «Werdet dialektisch» – forderte der Lockruf auf der Einladungskarte und deutete eine bisher unbekannte Hegel-Linie an: Spekuliert wurde in den Hinterzimmern des Professors weniger auf den Weltgeist als auf ein erotisches Abenteuer. Friedrich Wilhelm Graf erzählt uns in dieser Ausgabe von der Party des berühmten theologischen Kollegen – ohne den großen Kater zu verschweigen, der über diesen Bildern liegt. Ein Jahr später ist die Sause vorbei, und die, die gerade noch unschuldig nebeneinander tanzten und lagen, waren nun – nach der Machtergreifung der Nazis – nicht selten auf verschiedene Kontinente verstreut.
Nicht jede Party ist ein solcher Tanz am historischen Abgrund. Frei von Weltanschauungsgestöber markiert die Party im 20. Jahrhundert eine neue Spielform lässiger Geselligkeit, die mit den steifen Protokollen bürgerlicher Abendgesellschaften bricht. In den noch zu schreibenden «Grundbegriffen westlicher Freizeitgesellschaften» würde ihr ein Haupteintrag zukommen: als Kampfzone der Angestellten und Aufmarschgebiet der Nacht. Zur reeducation des Nachkriegsdeutschen gehört auch das Erproben des smalltalks und der richtigen Praxen und Riten zwischen Küche und dancefloor. Wer sich in den frei flottierenden Gesprächen auf einer Party bewegen und entfalten konnte, war im Westen angekommen. Aber dieser Nahblick auf bundesrepublikanische Lockerungsübungen verdeckt, dass die Ideengeschichte schon lange eine Affäre mit der Party unterhielt. War die Urszene des philosophischen Denkens nicht das partyeske «Symposion»? Heute befeuert Dionysos nur noch selten die ausgenüchterten Fachwissenschaften; den antiken Philosophen war es noch selbstverständlich, dass Trinken, Feiern und Denken fließend ineinander übergehen.
Was auf der Vorderbühne der Ideen in Lager und Argumente getrennt ist, fügt sich auf der realdialektischen Hinterbühne einer Party oft in einem Bild zusammen. Hier sitzen die sozialtheoretischen Antipoden zusammen auf einem Sofa, erleben wir die aberwitzigsten und abgründigsten Konstellationen. «Hier ist die Stelle für das Unberechenbare in der Geschichte» (Paul Tillich). Diese Ausgabe entwirft einen Reigen wilder Party-Szenen, ohne sie einer dem frivolen Thema ganz inadäquaten Systematik zu opfern. Wie in einem guten, assoziativen Partygespräch zappen die Stücke wild durcheinander: Eben sind wir noch in den frühen achtziger Jahren mit Blixa Bargeld im Westberliner «Dschungel», da steht schon Diogenes als uneingeladener Gast vor der Tür. Eine Szene weiter schlägt die Stunde der Mänaden. Reinhart Koselleck erlebt im Terrorherbst 1989 in München einen denkwürdigen Empfang, und Niklas Luhmann beobachtet alles und beutet kalifornische Bar-Gespräche für seine Kommunikationstheorie aus. Es führen eben immer auch Wege von der Party zur strengen Wissenschaft zurück. An der Schwelle zu ihrem zehnten Geburtstag spürt die ZIG den darkrooms der Ideengeschichte nach.
Dieser Text ist das Editorial der aktuellen Ausgabe der "Zeitschrift für Ideengeschichte".
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