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Berichte

"In Weimar erlebt man Kultur, in Weimar ist alles Kultur"

Burrhus Quercy Njanjo Nkake ist aus Kamerun angereist. Im Rahmen der Internationalen Sommerschule 2016 von MWW zum Thema „Wie entsteht ein Nationalautor?“ hat er zwei Wochen in Weimar verbracht und diesen Ort als Kulturstadt entdeckt. Hier erzählt er, wie er den Weg nach Weimar fand.

Ein Gedicht über mich! Ja richtig! Ein Gedicht und eine Woche später ein zweites! Aber über jeden "Sommerlichen" gab es eigentlich zwei Gedichte während der zwei Wochen der Sommerschule - von Fernando aus Brasilien geschrieben. Die bezogen sich mal auf die Person, mal auf ihre Forschungsfragen oder auf ihren Charakter; darin lag das "krass" lustige. Dadurch bekommt man schon eine Idee von der angenehmen Atmosphäre dieser Sommerschule. Mir ist beispielsweise aufgefallen, wie schnell Menschen aus der ganzen Welt (vier Kontinenten und zehn Ländern), aus unterschiedlichen Kulturen in Kontakt treten und witzeln konnten, mit Dozenten angemessen und locker diskutierten, von ganz unterschiedlichen Achsen aus und gewinnbringend auf dasselbe Thema schauen: Zwar könnte höchstwahrscheinlich nicht nur der MWW-Forschungsverbund das ausrichten, aber das hat er m. E. super geschafft. Und wenn man sowas erlebt, entsteht keine Situation, seine Entscheidung zu bereuen, sich für die Sommerschule beworben zu haben.

Diese Liebesgeschichte zwischen Weimar, dem MWW und mir beginnt im Winter 2015 in Wuppertal, als ein Freund mir die MWW-Sommerschul-Ausschreibung zeigt und mir von der letzten MWW-Summerschool in Marbach anziehend und verlockend erzählt. Damals wusste ich noch kaum etwas, was ich im Rahmen meiner Promotion machen wollte, obwohl ich dank meines Freundes schon langsam in den Bann der MWW-Sommerschule in Weimar geriet. Aber nach der IPIW-Winterschool in Wuppertal habe ich überzeugt den Beschluss gefasst, der Problematik der Literaturgeschichtsschreibung im Zusammenhang mit Weltliteratur und der Thematik des Kanons und des Nationalautors aus postkolonialer Perspektive auf den Grund zu gehen. Daraufhin sah ich keine andere Möglichkeit, als meine Bewerbung für die MWW-Sommerschule in Weimar abzusenden.

Weimar ist mehr als Goethe und Schiller

Weimar hat zudem für jeden Germanisten eine besondere Bedeutung. Von vornherein denkt man sehr an das Paar Goethe und Schiller - und an die Weimarer Republik. Aber sobald man in Weimar ist, kommen noch weitere Namen hinzu: Herder, Wieland, Nietzsche, Liszt, Musäus, Albert Schweitzer und Anna Amalia, nach der die Bibliothek benannt wurde. Hinzu kommen auch das beeindruckende Archiv, die verschiedenen Schlösser und Museen, womit sich Weimar als eine echte (konstruierte) Kulturstadt hervortut. "Wie entsteht ein Nationalautor? Ambition und Konstruktion", so lautete das Thema der Sommerschule und mich interessierte zu verstehen, wie die Frage nach dem Nationalautor mit Weltliteratur in Zusammenhang gebracht werden kann, was unter Nationalautor verstanden wird und was das heutzutage mit den neuen und neueren Diskussionen um den Begriff der Nation sowohl in Europa als auch in Afrika unter Berücksichtigung von Kriegs- und Terrorismusfaktoren bedeuten würde. Zwar ist die Diskussion während der Sommerschule sehr europäisch gewesen, aber die dabei gewonnen theoretischen Einsichten können in einem gewissen Rahmen in einen afrikanischen Kontext übertragen werden und für die Debatte um Nationalautoren z. B. in Kamerun interessant sein. Auch bin ich zu der Erkenntnis gekommen, dass die Nationalautor-Diskussion im 19./20. und 21. Jahrhundert immer neu geführt wird und dass der interkulturellen bzw. -kontinentalen und transnationalen Perspektive bei der Konstruktion von "großen Autoren" bislang keine große Bedeutung geschenkt wurde.

Meine Forschungsarbeit lautet Europäische Moderne im Spiegel des "Primitivismus".Eine interkulturelle und transnationale Literaturgeschichtsschreibungsuntersuchung aus postkolonialer Sicht. Während meines Forschungsaufenthaltes an der Bibliothek bin ich auf drei Bücher gestoßen, mit denen ich hauptsächlich gearbeitet habe: Gess, Nicola (Hg.): Literarischer Primitivismus, Berlin/Boston, De Gruyter, 2013. / Gess, Nicola: Primitives Denken, Wilde, Kinder und Wahnsinnige in der literarischen Moderne (Müller, Musil, Benn, Benjamin), München, Wilhem Fink, 2013. / Werkmeister, Sven: Kulturen, Zur Figur des Primitiven in Ethnologie jenseits der Schrift, Kulturtheorie und Literatur um 1900, München, Wilhem Fink, 2010. Diese Bücher haben mir bis heute geholfen, den theoretischen Teil zu vertiefen und einen noch weiteren Blick über den Stand der Forschung zu meiner Arbeit zu erhalten; eine Arbeit im Bereich der Cultural Studies, die jetzt und für immer die Prägung von Weimar trägt, denn in Weimar erlebt man Kultur, in Weimar ist alles Kultur.

Burrhus Quercy Njanjo Nkake beendet derzeit seinen Master 2 in Germanistik an der Universität Jaunde I in Kamerun und arbeitet parallel als Deutschlehrer. Er interessiert sich insbesondere für Intermedialität, Moderne und Avantgarde, Film und Migration. Sein Promotionsprojekt trägt den Arbeitstitel "Europäische Moderne im Spiegel des Primitivismus. Eine interkulturelle und transnationale Literaturgeschichtsschreibung aus postkolonialer Sicht".

Burrhus Njanjo bei der Vorbereitung der Abschlusspräsentation zusammen mit Weijie (Leonie) Zhao, Annick Thönnissen und Maya Maurer.
Burrhus Njanjo bei der Vorbereitung der Abschlusspräsentation zusammen mit Weijie (Leonie) Zhao, Annick Thönnissen und Maya Maurer.

"Ich habe sogar gewagt, im Chor der Sommerschule mitzusingen"

Aus einem brasilianischen Gesichtspunkt ist es nicht leicht zu begreifen, wie es dazu kam, dass Weimar, ein kleiner Staat unter Territorialstaaten, mit voneinander getrennten Institutionen und Verwaltungen, der Ort des deutschen Klassizismus werden konnte, in dem der Nationalautor (oder die Nationalautoren) der deutschen Literatur zu finden ist (als es eben keine Nation in unserem Sinne gab). Als Germanist in Brasilien beschäftigen mich Fragen nach den Auswirkungen verschiedener politischer Erfahrungen der Formation eines Landes auf die Konstruktion eines Nationalautors. Der Sommerkurs sowie der Aufenthalt in Weimar haben mir die Möglichkeit gegeben, mich mit diesen Themen sinnlich und theoretisch zu befassen. Die Strategien der Inszenierung (auch der Selbstinszenierungen) eines Nationalautors zu beobachten und untersuchen, hatte für mich besondere Bedeutung, auch was meine aktuelle Forschung angeht, die sich mit (Selbst-)Darstellungen und Verständnissen des Dichters auseinandersetzt.

Der rege und intensive Austausch mit anderen Stipendiaten aus unterschiedlichen Wurzeln bildete für mich eine einmalige Erfahrung und Anreicherung der Perspektive, die weit über die wissenschaftliche Bildung hinausgeht. Die Atmosphäre unter den Stipendiaten des Kurses verband ein freundliches Klima mit reflexiv-kritischer und wissenschaftlicher Strenge. Zudem - und das hängt sicher mit der freudigen Stimmung der Sommerschule zusammen - habe ich sogar gewagt, im Chor der Sommerschule mitzusingen. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich das einmal trauen würde.

Nach den zwei Wochen des Sommerkurses konnte ich noch für eine Woche Archivaufenthalt in Weimar bleiben. Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek bietet einen beeindruckenden Reichtum an Beständen der Germanistik und war ein exzellenter und gemütlicher Ort für die Forschungsarbeit. In dieser letzten Woche hatte ich Zugang zu Material, Texten und Büchern, die ich in Brasilien nicht zu Rate ziehen kann. Dies zählt zu einer wichtigen Voraussetzung für die Entwicklung meiner Promotion in Brasilien. In dieser letzten Woche konnte ich schon spüren, wie die Zeit der Sommerschule sich stark in mir ausgewirkt hatte und lange noch nachwirken würde.

Danilo Serpa hat sich in seiner Magisterarbeit mit der Inszenierung von Dichtern in der Gattung der deutschen Hymne des 18. Jahrhunderts beschäftigt. Derzeit promoviert er in Germanistik an der Universität von São Paulo, Brasilien zum Thema "Das Motiv Orpheus in der deutschen Lyrik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts".

Kaffeepause im Wielandgut Oßmannstedt. Rechts im Vordergrund Danilo Sepra.
Kaffeepause im Wielandgut Oßmannstedt. Rechts im Vordergrund Danilo Sepra.

Bericht von Veronika Walter

Die Aussicht auf zwei Wochen Weimar reizte und beunruhigte mich zugleich, und die Aufregung nahm naturgemäß zu, je näher der Termin der "Internationalen Sommerschule" rückte. Als aufgeriebene "Vorsommerliche", die ich neben der obligaten Lektüre zumeist abends Goethe- und Schiller-Biographien querlas, fand ich in einem Brief Zuspruch:

"Zwar verberge ich mir nicht", schrieb Schiller 1799 darin über Weimar an Goethe, "daß sich von dem Einfluß der dortigen Societät eben nicht viel ersprießliches erwarten läßt, aber der Umgang mit Ihnen, einige Berührungen mit Meiern, das Theater und eine gewiße Lebenswirklichkeit, welche die übrige Menschenmasse mir vor die Augen bringen muß, werden gut auf mich und meine Beschäftigungen wirken." [Schiller an Goethe, 24.8.1799; Goethe-und-Schiller-Archiv Weimar]

So verhielt es sich denn auch, und es gehörte zu den angenehmen Überraschungen der an Input, Recherche und uns in den "Kosmos Weimar" einsaugenden Goethe- und Schiller-Führungen reichen Wochen, dass die "gewisse Lebenswirklichkeit" der vielfältigen Begegnungen sowohl überaus "ersprießlich" als auch "erquicklich" auf unsere Gemüter wirkten. Ersteres nicht nur wegen der intensiven Seminarstunden, sondern insbesondere durch die Gespräche mit den Referenten und den Austausch mit den anderen Doktoranden, die erst zu wenn nicht gleich, so doch ähnlich Gesinnten wurden und schließlich zu Freunden.

Wenn der Klassiker-Kult also im Seminar Kritik verdiente, weil er parteiisch vorgeht und darüber Ungleiches gleich erscheinen lässt, so hat er doch die überaus angenehme Folge, dass wir "Sommerlichen" in konsensueller Vielstimmigkeit zwei Wochen darüber debattierten konnten, was diese Dinge seien und welche zu den gleichen und ungleichen zu rechnen seien.

Viktoria Walter aus München arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt "Narragonien digital" an der Universität Würzburg sowie als Mitarbeiterin im Lektorat des C.H. Beck-Verlags. Sie hat einen Magister in Neuerer deutscher Literatur und Politikwissenschaft und schreibt ihre Dissertation über "Politische Narrative in Schillers Dramen".

Brief von Schiller an Goethe
Brief von Schiller an Goethe