Autorenbibliotheken - MWW-Forschung
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Autorenbibliotheken
Das Forschungsprojekt Autorenbibliotheken: Materialität – Wissensordnung – Performanz konstituierte sich aus den drei Einzelprojekten Frühneuzeitliche Gelehrtenbibliotheken, Wolfenbüttel, Goethes Bibliotheken in Weimar, Weimar, und Zerstörte Überlieferung, überspielte Provenienz: Die Bibliothek von Karl Wolfskehl nach 1933, Marbach, die von Jörn Münkner, Stefan Höppner und Caroline Jessen betreut wurden.
Die Arbeitsbibliotheken von Autor*innen sind noch immer Neuland für die literaturwissenschaftliche Forschung. Das ist erstaunlich, denn sie gewähren wie kaum eine andere Quelle Einblicke in die Denk- und Schreibwerkstatt von Schriftsteller*innen und Wissenschaftler*innen; sie ermöglichen Rückschlüsse auf die kulturellen Kontexte und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Schreibens und Lesens. Unser Projekt erforschte die Arbeit von Autoren mit ihren Büchern, ihre Sammlungsinteressen und -ordnungen ebenso wie die Überlieferung von Bibliotheken. Es umspannte dabei einen Zeitraum von beinahe fünfhundert Jahren.
Jedes Teilprojekt setzte einen eigenen zeitlichen Schwerpunkt. Die untersuchten Bestände – frühneuzeitliche Gelehrtenbibliotheken, Goethes Bibliotheken, der heute zerstreute Buchbesitz des jüdischen Dichters Karl Wolfskehl – wurden zum Ausgangspunkt für philologische und ideengeschichtliche Fragestellungen vor dem Hintergrund politischer, sozialer, ästhetischer und medialer Umbrüche. Dank der komplementären Sammlungsschwerpunkte in Marbach, Weimar und Wolfenbüttel sowie unterschiedlicher Perspektiven wurde die Autorenbibliothek so erstmals systematisch als epochenübergreifendes Phänomen untersucht.
Nicht zuletzt stellten die in den drei Häusern aufbewahrten Bestände die Frage nach der Sammlungsgeschichte und -praxis der Institutionen: In den Autorenbibliotheken verdichteten sich Fragen der Provenienz, der symbolischen Repräsentanz und der Materialität von Kommunikation. Mit anderen Worten: Hier wurden ganze »Lebensläufe« von Büchern sichtbar.
Die einzelnen Projekte werden im Folgenden von den verantwortlichen Forscher*innen beschrieben:
Frühneuzeitliche Gelehrtenbibliotheken, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
In der Frühen Neuzeit (16. bis 18. Jahrhundert) besaßen viele Gelehrte eigene Bibliotheken. Nach ihrem Tod wurden sie oft veräußert und in alle Winde zerstreut. Erhalten sind indes Auktionskataloge und andere Bestandsverzeichnisse. Wie Fernrohre lassen sie die Profile der Sammlungen erkennbar werden, sie sind Indizien für die Lese- und Forschungsinteressen, die Leidenschaften und möglichen Netzwerke der Bibliotheksbesitzer, zudem für die Verkaufs- und Preisroutinen. Aus dem einzigartigen Materialfundus der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel wird ein repräsentatives Korpus von aussagekräftigen Exemplaren ausgewählt. Die Leitfragen lauten: Welche Rückschlüsse lassen die überlieferten Titel auf den Besitzer der Bücher zu? Welche Bücher waren populär, welche Themen prominent? Was war Bestandteil des Wissens zu einer bestimmten Zeit, was kann folglich im Bereich des Nicht-Wissens vermutet werden? Projektziel ist die bibliografisch und sachsystematisch genaue Erschließung der Kataloge, die elektronische Edition flankierender Quellen, die Diskussion übergreifender wissenschaftsgeschichtlicher Fragen sowie die Darstellung und Recherchierbarkeit der Kataloge und Titel in einer Datenbank.
Dietrich Hakelberg (2014–2015), Jörn Münkner, Katrin Schmidt
Goethes Bibliotheken in Weimar, Klassik Stiftung Weimar
Johann Wolfgang Goethe standen in Weimar zwei erstrangige Wissensarchive zur Verfügung: seine private Arbeitsbibliothek und die Herzogliche Bibliothek im Grünen Schloss, die er von 1797 bis zu seinem Tod leitete. Sie bilden das Reservoir, auf dessen Grundlage er schrieb. Das Teilprojekt der Klassik Stiftung Weimar überführt die zusammen mehr als 11.000 Bände in einen digitalen Katalog, der aktuellen bibliothekarischen Standards folgt. Ziel ist ein völlig neues Hilfsmittel für die Goethe-Forschung. Angestrebt ist, später einen Teil der Bücher als Digitalisat anzubieten – darunter Goethes Handexemplare der eigenen Werke, Bücher mit Arbeitsspuren des Autors oder mit Widmungen von Autoren wie Heine, Hegel, Schelling und Byron. Ausleihen und Privatbibliothek werden mit einer gemeinsamen thematischen Klassifizierung erschlossen. Daneben soll eine Monografie über die Geschichte und Erforschung von Goethes Privatbibliothek entstehen. Begleitet wird die Arbeit von philologischen Einzelstudien zu Themen wie Goethes Sammelpraxis, seine Arbeit mit einzelnen Bänden und seine intellektuellen Netzwerke, die durch Hunderte von Buchgeschenken dokumentiert sind.
Kirsten Krumeich (2014–2015), Stefan Höppner, Ulrike Trenkmann
Zerstörte Überlieferung, überspielte Provenienz: Die Bibliothek von Karl Wolfskehl nach 1933, Deutsches Literaturarchiv Marbach
Das Projekt nahm den Umgang mit Büchern aus dem Besitz jüdischer Autoren nach 1945 an einem exponierten Beispiel in den Blick: 1937 verkaufte der Dichter Karl Wolfskehl seine über 8.800 Bände zählende Bibliothek an den Verleger Salman Schocken. Der Erlös ermöglichte dem Autor, nach Neuseeland zu emigrieren; nur wenige Bücher begleiteten ihn ins Exil. Schocken erwarb für das »Research Institute for Hebrew Poetry« in Jerusalem eine Sammlung, die der Literatur von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart verschrieben war und an ihren Rändern auf die Idee einer verborgenen deutsch-jüdischen Tradition verwies. Die Bibliothek blieb in Jerusalem ungenutzt, Wolfskehls Bücher wurden bis auf die Judaica und Hebraica ab 1975 in den Handel gebracht und gingen in neuen Zusammenhängen auf. Ausgehend von der Relevanz der Bibliothek als philologischem Werk und symbolische Markierung hatdas Projekt diese virtuell rekonstruiert, die Wege der Bücher nachgezeichnet. Dabei ging es nicht zuletzt um die Relevanz von Wolfskehls zerstreutem Buchbesitz für eine neue Sicht auf dessen Werk.
Susanna Brogi (2014–2015), Caroline Jessen
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